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Mehrwertsteuer – Ein Irrsinn


Prof. Dr. med. Rolf Zander
Mail: cr-zander@widersprueche.eu
Web: www.widersprueche.eu

Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau
des Landes Rheinland-Pfalz
Herrn Dr. Volker Wissing
Stiftsstraße 9
55116 Mainz

31. Oktober 2019 / Antwort (s.u.) vom 27. November 2019 per E-Mail

Sehr geehrter Herr Minister,

als FDP-Bundestagsabgeordneter haben Sie 2006 nach dem Studium eines 149 Seiten starken Schriftsatzes, in dem sich Finanzbeamte alle Mühe gaben, sämtliche Fragen der Umsatz­steuer-Ermäßigung umfänglich zu beantworten, gesagt: Ein Irrsinn [1].

Beispiele zur Mehrwertsteuer [1]:

  • Für Pflanz- oder Frühkartoffeln gilt der ermäßigte Steuersatz, nicht für Süßkartoffeln.
  • Die Steuer auf Leitungswasser ist ermäßigt, nicht aber die auf Abwasser.
  • Die Grundausstattung für Beinprothesen ist ermäßigt, die Ersatzteilbeschaffung nicht.
  • Ein gesundes Schulessen 19 %, Fast-Food-Burger neben der Schule nur 7 % [2].
  • Für Pferde 7 %, Wildpferde 19 %.
  • Für Leitungswasser 7 %, Trinkwasser 19 %.
  • Für genießbare Schweinsohren 7 %, ungenießbare aber 19 %.
  • Auf Seife, Schuhputz- und Nähzeug, Weckdienst 7 %, Schuhputzautomat 19 % [3].
  • Eine Babywindel wird mit 19 %, Tierfutter aber mit 7 % besteuert [4].

Nachdem der Bundesrechnungshof scharfe Kritik an den unzähligen Ausnahmeregelungen bei der Mehrwertsteuer übte, will die FDP – 2010 – ihr Ziel der Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen mit einer Vereinfachung des Mehrwertsteuer-Systems erreichen [5].

Die schwarz-gelbe Bundesregierung hatte im Koalitionsvertrag 2013 zur Vereinfachung des Mehrwertsteuer-Systems eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich kein einziges Mal traf [6].

Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) hat sich – 2017 – für eine Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Schulessen ausgesprochen. Sein Ziel – für die nächste Legislaturperiode – ist es, dass Schulverpflegung mehrwertsteuerfrei wird [7].

Aktuell hat Thüringen 2019 im Bundesrat eine Initiative eingebracht, Tampons und Binden mit 7 statt wie bisher mit 19 % zu besteuern, das Land Bremen folgt diesem Vorschlag [8], und der Bundesfinanzminister Scholz (SPD) drängelt sogar: Das bringen wir jetzt auf den Weg, das tritt gleich am 1. Januar in Kraft [9].

Sehr geehrter Herr Minister,

hier die erste Frage:

Warum hat sich Rheinland-Pfalz im Bundesrat dazu noch nicht positioniert?

Oder tendieren Sie eher dazu, dem Grünen-Chef Robert Habeck zuzustimmen: Eine isolierte Betrachtung von Einzelsteuersätzen [z.B. Fleisch] ist nicht sinnvoll, wer etwas ändern will, muss das gesamte Mehrwertsteuersystem im Hinblick auf die ökologische Lenkungswirkung umbauen [10].
Oder ist es Ihnen wichtiger, unser Steuersystem so zu reformieren, dass niedrigere und mittlere Einkommen nicht länger überdurchschnittlich stark zur Kasse gebeten werden, wie Sie kürzlich auch auf Facebook gepostet haben?

Daher hier die zweite Frage – nach den Aktivitäten der FDP seit 2010:

Plädieren Sie als Landesvorsitzender der FDP eher dazu, alle Umsatzsteuer- Ermäßigungen – umfänglich – zu reformieren, um den Irrsinn aus 2006 [1] endlich zu beheben?

Mit Dank im Voraus für Ihre Antwort, die mit diesem Offenen Brief in www.widersprueche.eu publiziert wird, und besten Grüßen

R. Zander, Mainz (77, parteilos)

  1. Spiegel: 29.04.2006
  2. Süddeutsche Zeitung: 10.03.2010
  3. Süddeutsche Zeitung: 14./15.08.2017
  4. Süddeutsche Zeitung: 25.08.2011
  5. Süddeutsche Zeitung: 29.06.2010
  6. Süddeutsche Zeitung: 25.07.2013
  7. Süddeutsche Zeitung: 17.01.2017
  8. Süddeutsche Zeitung: 01.10.2019
  9. Allgemeine Zeitung Mainz: 05.10.2019
  10. Süddeutsche Zeitung: 08.08.2019

MINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT, VERKEHR, LANDWIRTSCHAFT UND WEINBAU
RHEINLAND-PFALZ

E-Mail vom 27. November 2019

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Zander,

haben Sie vielen Dank für Ihre E-Mail vom 31. Oktober 2019.

Lassen Sie mich zunächst auf die von Ihnen genannte Bundesratsinitiative des Freistaates Thüringen zur Überprüfung des Katalogs der Ermäßigungstatbestände im UmsatzsteuerG eingehen. Diese Vorlage wurde zwar von Thüringen im Bundesratsplenum am 20. September 2019 vorgestellt, danach jedoch in die zuständigen Ausschüsse zur Beratung überwiesen. Die in Rheinland-Pfalz mit der Beratung der Initiative betrauten Ausschüsse standen der Initiative positiv gegenüber. Es waren jedoch weder der Wirtschafts-, noch der Rechtsschuss mit der Beratung betraut. In der Bundesratssitzung vom 11. Oktober 2019 hat Thüringen sodann darauf verzichtet, eine sofortige Sachentscheidung zu beantragen. Mangels Abstimmung kam es somit zu keiner öffentlichen Positionierung  der einzelnen Bundesländer.

Allerdings kann ich Ihnen versichern, dass auch ich für eine stringente Regelung einstehe, die dafür sorgt, dass sämtliche Artikel des alltäglichen Bedarfs dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. So auch die generelle Auffassung der FDP im deutschen Bundestag. Zuletzt hat die Bundestagsfraktion die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Monatshygieneprodukte begrüßt und einen entsprechenden Antrag im Bundestag unterstützt.

Zu Ihrer zweiten Frage. Natürlich plädiere ich als Landesvorsitzender der FDP nach wie vor für eine umfassende Überarbeitung der Umsatzsteuerermäßigung. Der Beginn dieser Reform muss aber auf europäischer Ebene liegen.

Die Freien Demokraten und ich persönlich haben innerhalb der christlich-liberalen Koalition bis 2013 mehrfach und mit Nachdruck auf Reformen in der Finanzpolitik gedrängt.

Unsere Position hat sich seither nicht geändert. Wir Freie Demokraten wollen ein einfaches und gerechtes Steuersystem. Bürokratischer Aufwand für Steuerpflichtige und Finanzverwaltung sollen auf ein Minimum beschränkt werden. Im Bereich der Umsatzsteuer bedeutet dies unter anderem, den Katalog der Leistungen, für die EU-Mitgliedstaaten die ermäßigte Umsatzsteuer erheben dürfen, zu verschlanken. Ermäßigte Umsatzsteuersätze sollen in den Mitgliedstaaten künftig nur noch für Leistungen erhoben werden, die einen Bezug zum materiellen und kulturellen Grundbedarf haben. Steuermehreinnahmen infolge der Abschaffung von ermäßigten Steuersätzen sollen in Deutschland vollumfänglich zur Senkung des Regelsteuersatzes eingesetzt werden.

Darüber hinaus sollte durch eine präzisere Definition der europäischen Vorgaben die Anwendung des europäischen Umsatzsteuerrechts einfacher werden. Die daraus bisher resultierenden bürokratischen Belastungen hindern gerade kleine Unternehmen an grenzüberschreitenden Aktivitäten.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Volker Wissing
Staatsminister

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